Welche Bedeutung Väter in Familien haben

Wie wichtig sind Väter für ihre Familien sind? Welche Bedeutung haben sie für die Entwicklung ihrer Kinder? Das erklärt der Psychoanalytiker Heribert Blass.

Die Kleinfamilie Maria, Josef und Jesus ist in der Weihnachtszeit in jeder Krippe zu sehen. Im Mittelpunkt des Interesses und der Verehrung steht das neugeborene Kind, dicht gefolgt von seiner Mutter. Papst Pius IX. ernannte Josef 1870 zwar zum Patron der katholischen Kirche. Doch im allgemeinen Bewusstsein spielt er keine große Rolle. Vätern aber, so der Psychoanalytiker Heribert Blass, der sich schon in einigen Büchern mit diesem Thema beschäftigte, hätten eine ganz wesentliche Bedeutung für die Entwicklung ihrer Kinder.

Badische Zeitung ( weiter als BZ): Herr Blass, wir leben in Zeiten vieler alleinerziehender Mütter, derzeit sind es mehr als zwei Millionen. Das heißt, viele Kinder erleben in ihrem Alltag keinen Vater. Ist das schlimm?
Blass: Schlimm ist eher ein moralischer Begriff. Lieber möchte ich davon sprechen, dass es tragisch und bedauerlich ist, wenn Kinder in ihrem Alltag keinen Vater erleben. Der Vater ist nämlich eine wichtige Person, weil er anders ist als die Mutter, und insofern kann er die Welt von Kindern auf entscheidende Weise erweitern und vielfältiger gestalten.

Ein körperlich und seelisch anwesender Vater übt eine wichtige Schutzfunktion für seine Frau und seine Kinder aus, ohne dass dies gleich mit patriarchaler Macht gleichgesetzt werden darf. Er kann die Mutter auch in vielfältiger Hinsicht körperlich und seelisch entlasten. Die Erfahrungen mit einem Vater helfen sowohl Söhnen wie Töchtern, ein Gefühl für ihre eigene Kraft, ihre Durchsetzungsfähigkeit sowie auch für eine sichere Ausprägung ihrer eigenen Geschlechtsidentität zu entwickeln.

BZ: Gerade jetzt in der Weihnachtszeit steht uns ja das Vorbild der Jesus-Familie vor Augen. Doch während um Mutter Maria als Muttergottes ein religiöser Kult ohnegleichen zelebriert wird, erhält Josef kaum Beachtung. Können Sie sich das erklären?
Blass: Aus meiner Sicht steht Josef für eine über Jahrhunderte hinweg kulturell unterbewertete, fürsorgliche Seite des Vaters. Während in den übrigen Aspekten des dreifaltigen Gottesbildes die Aspekte Sexualität (über den heiligen Geist) und Aggression (über Gott Vater) enthalten sind, steht Josef aus meiner Sicht für den früh beschützenden Vater. Kulturell kann ich die Unterbewertung der Gestalt des Josef erst einmal nur dadurch verstehen, dass er als Sozialisationsfigur für kriegerische Auseinandersetzungen nicht gut geeignet ist. Auf der anderen Seite ist er aber im Bild der Krippe, die ja seit Jahrhunderten ebenfalls zu unserer kulturellen Tradition gehört, fortwährend präsent. Er erfährt also doch eine sublime Wertschätzung.

BZ: Der katholische Theologe Ansgar Wucherpfennig meint, Josef biete eine Identifikationsfigur für Männer, ein „großartiges Vorbild“. Schließlich definiere sich der Ziehvater des kleinen Jesus nicht ausschließlich über seine sexuelle Männlichkeit. Das entspricht doch eigentlich einem modernen Männerbild, oder?
Blass: Ich schätze die Figur des Josef ebenfalls. Aber wenn sie mit einer Entwertung von Männlichkeit im Sinne eines Ausschlusses aus der Sexualität verbunden ist, stellt sie kein „großartiges Vorbild“ dar. Josef verkörpert dann aber einen wichtigen Teilaspekt männlich väterlicher Möglichkeiten.

BZ: Sie vertreten die These, dass viele Männer im Alter zwischen 20 und 40 keine Lust haben, Väter zu werden. Ich erlebe dagegen reihum, dass die Männer im Alter meines Sohnes heiraten und Kinder kriegen. Stimmt meine Wahrnehmung nicht?
Blass: Es ist aber eine Tatsache, dass die Geburtenrate in Deutschland und auch den westlichen Ländern auf einem niedrigen Niveau liegt und dass die Männer dabei ihren Anteil haben. Ich höre auch von Frauen, dass sie ihren Kinderwunsch nicht verwirklichen können, weil sie sich nicht sicher sind, ob sie nicht eines Tages mit ihrem Kind allein dastehen werden. Und viele jüngere Männer sind sich nicht sicher, inwieweit sie ihre pflegenden und fürsorglichen Fähigkeiten mit der Notwendigkeit von Grenzsetzung und Orientierung verbinden können.

BZ: Kann die Vater-Position nur vom männlichen Geschlecht ausgefüllt werden? Könnte das nicht auch eine zweite Frau? Oder: Was ist das Nicht-Ersetzbare am Mann?
Blass: Grundsätzlich kann natürlich auch eine zweite Frau eine Schutzfunktion in der familiären Dreiergruppe übernehmen. Im Sinne einer seelischen Struktur würde dazu der Begriff des „väterlichen Raums“ gut passen, den einer meiner Kollegen geprägt hat. Den kann auch eine Frau vertreten.

Das Nicht-Ersetzbare am Mann als Vater aber besteht in der auch körperlich vermittelten Erfahrung von Andersheit und darin, eine gewisse Distanz in eine seelisch nahe Beziehung hineinbringen zu können. Denn Väter sind doch nie so unmittelbar körperlich mit dem Kind verbunden wie die Mutter. Der Vater begünstigt somit eine Selbstständigkeit innerhalb einer nahen Beziehung, die ich als Gegenwart eines vertrauten Fremden bezeichne. Die Vermittlung dieser Dichotomie halte ich für etwas Unverzichtbares am Mann.

BZ: Wenn darüber gesprochen wird, dass Männer nur noch als Samenspender gefragt sind – wird Ihnen da angst und bange?
Blass: Grundsätzlich empfinde ich die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung als sehr hilfreich, wenn nicht gar segensreich für viele Paare, die sonst kinderlos bleiben würden. Angst und bange wird mir nur dann, wenn diese Vorstellung mit einer Verachtung von Männlichkeit verbunden ist. Verachtung beschädigt die Vorstellung eines sexuell liebenden Paares, das gilt ebenso für homosexuelle Paare. Auf diese Weise wäre die Zeugung des entstehenden Kindes mit einer Dimension von Entwertung verbunden und die seelische Dimension des Väterlichen würde negiert. Vor einem solchen Hintergrund hätte auch ein Kind wenig Möglichkeiten, sich eigenständig entwickeln zu können.

BZ: Vor nicht allzu langer Zeit wurden vielerorts Frauen dafür haftbar gemacht, dass es im demographischen Sinn nicht genug Kinder in Deutschland gebe. Schuld sei deren Wunsch nach Emanzipation und Selbstverwirklichung. Kann es sein, dass es vielleicht eher an den Männern liegt, die das Vatersein verweigern?
Blass: Es gibt eine beträchtliche Anzahl von Männern, die aktiv oder passiv ihre Partnerinnen an einer Schwangerschaft hindern: Sie wollen sie nicht mit einem Kind teilen, sie ermutigen sie nicht zu einer Schwangerschaft oder vermitteln nicht genügend Sicherheit, unausweichlich auftretende Krisen und Schwierigkeiten mit dem Kind gemeinsam bewältigen zu können.

BZ: Diejenigen Männer, die Sie aufsuchen, leiden unter spezifischen Probleme. Halten Sie dennoch die Erkenntnisse aus Ihrer Analyse für verallgemeinerbar?
Blass: Richtig. Zu mir kommen hauptsächlich Menschen in Konfliktsituationen. Zugleich befinden sie sich ansonsten in völlig üblichen Lebensverhältnissen. In der Beschäftigung mit ihren persönlichen Fragen können sie sogar häufiger manch allgemeine Problematik klarer herausarbeiten als jemand, der vielleicht weniger leidet, aber mit ähnlichen Konflikten zu tun hat.

BZ: Wie absehbar sind für Sie heute Veränderungsprozesse im gesellschaftlichen Zusammenleben?
Blass: Eine Veränderung, deren Entwicklung noch nicht abzusehen ist, besteht zum Beispiel in der selbstverständlicheren Übernahme von Betreuungs- und Erziehungsfunktionen durch Männer – auch im Kindergarten und in den ersten Schuljahren. Es gibt erste Studien, welche dafür sprechen, dass die Anwesenheit männlicher Erzieher im Kindergarten positive Auswirkungen auf die Kinder hat, interessanterweise oft mehr auf die Mädchen.

BZ: Geben Sie jungen Männern und jungen Vätern etwas Aufmunterndes mit auf den Weg!
Blass: Väter dürfen, ebenso wie Mütter, Fehler machen und müssen nicht perfekt sein. Sie sollten sich aber mit ihren unvermeidlichen Fehlern beschäftigen und aus Erfahrung lernen. Ihre Kinder werden das gerne belohnen. So macht Vaterschaft Spaß und wird zu einem bereichernden Lebensabenteuer.

Quelle: http://www.badische-zeitung.de/liebe-familie/welche-bedeutung-vaeter-in-familien-haben–115363945.html